Buchempfehlungen
Buchbesprechung
Homo foetalis et sapiens von Ludwig Janus
Ludwig Janus, Psychiater, Psychohistoriker und Erforscher der Prä- und perinatalen Psychologie, vereint in diesem im Jahre 2018 im Mattes Verlag Heidelberg erschienen Buch 4 seiner Essays, die sich aus verschiedenen Blickwinkeln mit der für uns Menschen so wichtigen Zeit vor der Geburt befassen.
Im ersten Essay «Homo foetalis et sapiens – ein kulturpsychologischer Essay» legt Janus dar, wie er zu diesem Titel gekommen ist: Er schreibt, dass «die Besonderheit des Homo sapiens darin besteht, dass die elementaren Erfahrungen vor und während der Geburt sowohl im individuellen Leben lebenslang nachwirken, als auch in den kulturellen Gestaltungen einen basalen Bezugspunkt darstellen».
In der Einleitung beschreibt Janus die jahrhundertealten, gegensätzlichen Antworten auf die Frage «Was ist der Mensch», nämlich die naturwissenschaftliche Sichtweise als Aussenbeobachtung und die Innenbeobachtung der Kulturwissenschaften. Wie diese Sichtweisen sich entwickelt haben und mehr und mehr reflektiert werden konnten, macht Janus deutlich mit der Erwähnung der Autoren Willy Obrist (1988), ein jungianischer Psychologe und Kulturwissenschaftler und Otto Rank, ein Psychoanalytiker und Weggefährte Sigmund Freuds, der sich mit seinen Betrachtungen «Das Drama der Geburt» und «Kunst und Künstler» (1932) den Ausschluss aus der Psychoanalytischen Gesellschaft erwirkte.
Janus erwähnt weiter die Grund-Eigentümlichkeiten des Homo Sapiens:
Der Mensch setzt sich im Gegensatz zu anderen Tieren zu der Welt als Ganze in Bezug.
Und:
Die herausragende Besonderheit des Homo Sapiens ist seine «physiologische Frühgeburtlichkeit» (vom Schweizer Biologen Portmann zum ersten Mal so formuliert im Jahre 1969). Evolutionsbiologisch gesehen hat sich im Laufe der Evolution die Schwangerschaft – aufgrund der infolge des sich entwickelnden aufrechten Ganges und der damit verbundenen Verengung des Beckenrings – um ca. 12 Monate verkürzt. Menschliche Babys kommen körperlich und seelisch unreif zur Welt. Ihr erstes Lebensjahr ist ein eigentliches «extrauterines Frühjahr«. Das Kind lebt im ersten Jahr in zwei Welten: real in der Aussenwelt und gefühlsmässig in einer fötalen Bezugswelt.
Zusätzlich zur realen Aussenwelt bleibt der Bezug zur fötalen Erlebniswelt ein Leben lang bestehen. Der Mensch will das grundlegende Defizit, das aus der physiologischen Frühgeburtlichkeit resultiert, in der realen Welt überwinden.
Sämtliche von uns Menschen erbrachten kulturellen Leistungen können nun unter diesem Aspekt betrachtet und vor allem tiefer verstanden werden:
Musik, Technik, Kunst, Architektur, Soziale Strukturen, Ernährungsgepflogenheiten,
Digitalisierung, Geschwindigkeit, Krieg, Gewalt, Geldgier
Kultur als Wiederherstellung der zu früh beendeten Ureinheit.
Mit seinem umfassenden Wissen aus verschiedenen Erkenntnis-Disziplinen (Kulturphilosophie, Anthropologie, Geschichte, Psychohistorie) beschreibt Janus die Zusammenhänge unserer kulturellen Errungenschaften mit der nun eben erweiterten Sicht, dass der Mensch als physiologische Frühgeburt zur Welt kommt und dass er alles, was er von Anfang an auch in seinem uterinen Leben erlebt hat, mit sich trägt und in seinem Leben individuell und kollektiv-gesellschaftlich reinszeniert. Als Psychohistoriker betrachtet Janus stets die im Laufe der Jahrhunderte möglich gewordene Entwicklung der Psyche und des Bewusstseins.
Mit folgenden Kapiteln seines Essays erhellt Janus seine erwähnten Thesen:
-
– Die Verquicktheit des Homo Sapiens mit der Welt
-
– Die Psychodynamik des Opfers
-
– Die Psychodynamik von Kriegen
-
– Die Psychodynamik heiliger und unheiliger Räume
-
– Kultur als Wiederherstellung der Ureinheit
-
– Die Verquickung von perinataler Dynamik mit der Triebdynamik
-
– Die hintergründige Wirksamkeit von mütterlichen Elementen in den am Vater orientierten
Konzepten der Freudschen Psychoanalyse
-
– Der Hintergrund der gesellschaftlichen Trancephänomene (Religionen)
-
– Das Hereinklappen der Gottesbeziehung in die Menschenbeziehung
-
– Die Psychodynamik der Transformation von den matriarchal zu den patriarchal organisierten
Gesellschaften
-
– Das Verhältnis der patriarchalen Kulturen zur Umwelt
-
– Die Psychodynamik der Verformungen der sozialen Strukturen in patriarchalen Gesellschaften
-
– Psychodynamik der Erkenntnisentwicklung
-
– Die Psychodynamik des Geldwesens
-
– Überlegungen zur Psychodynamik der Entwicklung der Schrift
-
– Psychodynamik der Musik
-
– Psychodynamik des Innenraums
-
– Psychodynamik des Weltenwechsels der Geburt
Im Essay 2 erweitert Janus die von James George Frazer in «Der goldene Zweig»
gesammelten Berichte über magische und religiöse Rituale in Stammeskulturen und verschiedenen Gesellschaften mit einer pränatal-psychologischen Analyse.Essay 3 ist der Widerspiegelung der Evolution der Mentalitäten und Lebensbezüge im Spiegel der Literatur gewidmet.
Im Essay 4 «Die Psychodynamik der fötalen Empfindungen und Gefühle» beschreibt Janus nochmals ausführlich die Zusammenhänge von individuellem pränatalem Erleben und den kulturell- gesellschaftlichen Realisationen dieser Erlebniswelten.
Der eine oder andere Essay wird hier zu einem späteren Zeitpunkt ausführlicher besprochen.
Was ist der Mensch?
Wer sich für die weite und grundlegende Bedeutung der Prä- und Perinatalen Psychologie auch in unserem kulturellen und gesellschaftlichen Leben interessiert, wird mit dem Buch von Ludwig Janus «Homo foetalis et sapiens» tiefgreifende Erkenntnisse treffen und ein erweitertes Verständnis für unsere Welt erlangen.Viel Freude beim Lesen! Edwin Nyffeler
Das ist eben der Bewusstseinswandel: Das höchste Glück ist nicht mehr bei Gott, sondern im göttlichen Kern in der eigenen Person, die modern ausgedrückt,
ihre Wurzel im fötalen Selbst hat. Das ist der Aspekt der Zeitlosigkeit und Ewigkeit.
(Zitat Janus)